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Wofür brauchen wir Grenzen und warum ist Grenzen setzen so wichtig? Die Arbeit mit Grenzen in der Psychologie und psychologischen Beratung.

  • Autorenbild: Anna Baubin
    Anna Baubin
  • 8. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit

Sehr oft wird über Grenzen in der Persönlichkeitsentwicklung gesprochen. Bei den meisten geht es darum, die eigenen Grenzen zu erforschen und diese selbstwirksam nach aussen zu kommunizieren.


Doch, wenn wir Grenzen nur in diesem Kontext verstehen, dann denken wir nicht weit genug, und daher hier ein kurzer Beitrag zur Einordnung der diversen Aspekte von Grenzen in der psychologischen Beratung.


Grenzen sind ein Ausdruck unserer Autonomie


Der Begriff Autonomie beschreibt in der Psychologie die Fähigkeit zur Selbstbestimmung und zum selbstständigen, unabhängigen Handeln.


Dafür muss ich mich von anderen abgrenzen können und es auch aushalten, wenn andere anders denken, fühlen und handeln.


Wenn wir unser Recht auf Autonomie mit dem Blick auf die 6 Lebensdimensionen betrachten, dann resultieren daraus folgende Cluster an Grenzen.


Wir haben demnach das Recht auf Autonomie in Bezug auf:


  • eigene Gedanken, Meinungen und Emotionen = psychische Grenzen

  • mit wem wir unser Leben teilen und die Wahl unserer Beziehungsformen = soziale Grenzen

  • unseren individuellen Glauben (oder Unglauben) und was uns Sinn im Leben gibt = spirituelle Grenzen

  • das, was wir mit unserem Körper machen (lassen) oder auch nicht = körperliche Grenzen

  • wie viel physischen Raum wir brauchen und uns nehmen = räumliche Grenzen

  • wie wir unsere Zeit gestalten und mit wem wir sie verbringen = zeitliche Grenzen


Es ist sinnvoll, so grosse Themen, wie es die Grenzen sind, anhand dieser Dimensionen zu erforschen. Verschiedene Blickwinkel können Komplexität reduzieren und uns neue Erkenntnisse und Rückschlüsse geben.


Funktionen von Grenzen


Allen voran gilt es, hier die Schutzfunktion zu nennen. Die Irritation, die entsteht, wenn die eigenen Grenzen überschritten werden, ist wichtig und richtig.


Diese Irritation führt zu einer Aktivierung des Nervensystems, und das wirkt sich je nach Person und Situation anders aus: Die einen werden wütend, die anderen ziehen sich zurück, wiederum andere werden ohnmächtig (im übertragenen Sinne).


Und je nach erlernter Strategie zeigt sich dann irgendein Verhalten: Angriff, Verteidigung, Flucht, Anpassung.


Spannend wird es übrigens dann, wenn wir uns damit auseinandersetzen, wer denn unsere Grenzen übertritt.


Bei welchen Personen passiert das am meisten?

In welchen Situationen werden wir unsicherer als sonst?

Sind es sogar wir selbst, die unsere eigenen Grenzen ständig überschreiten?


Vor allem letzteres ist eine enorm wichtige Erkenntnis, denn sie weist darauf hin, dass wir keine Orientierung an unseren eigenen Grenzen haben, in Sachen Autonomie noch einiges lernen können und uns eigentlich ständig selbst übergehen.


Dass sich das nicht unbedingt positiv auf unsere Beziehung zu uns selbst auswirkt, ist nicht schwer zu erraten.


Orientierung in der Gemeinschaft


So wie wir lernen müssen, unsere eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren, verhält es sich auch mit den Grenzen anderer.


Wenn wir nicht darauf sensibilisiert sind, wo die Grenzen unserer Mitmenschen sind und wie wir uns entsprechend der Person und der Situation verhalten, dann wird es schwer sein, nachhaltige, authentische und zufriedene Beziehungen zu führen.


Auf die Grenzen anderer Rücksicht zu nehmen, ist für funktionierende Gemeinschaften unumgänglich.


Grenzen geben uns Orientierung im Zusammenleben. Was geht und was geht zu weit? Wir lernen auch von der Grenzsetzung anderer vieles über unsere eigenen. Und über unsere eigene Fähigkeit, unsere Grenzen zu setzen, sowie damit umzugehen, wenn andere uns ihre Grenzen kommunizieren.


Und wir lernen, von wem wir uns sicherheitshalber lieber fernhalten, wenn die wiederholte Grenzverletzung trotz klarer Kommunikation nicht vor Übergriffen schützt.


Der Einsatz für andere


Spannend finde ich es, dass es manchmal einfacher ist, Grenzen anderer wahrzunehmen und zu respektieren, als die eigenen.


Genauso fällt es auch manchmal einfacher, die Grenzen anderer zu verteidigen, als die eigenen. Das ist ein wunderbarer Anhaltspunkt für die Erforschung, wie wichtig Du Dich im Vergleich zu anderen nimmst.


Wie wichtig Deine Sicherheit, Dein Energielevel, Deine Zufriedenheit und Deine Autonomie für Dich sind. Ob Du Deine Bedürfnisse kennst, sie kommunizierst und Dir selbst die Priorität in Deinem Leben zusprichst, die Dir zusteht.


Oder ob Du eben so geprägt bist, dass Du Dich eher zurücknimmst und es anderen recht machen willst, Dich selbst dabei hinten anstellst oder sogar vergisst.


Und für andere einzusetzen, die das Setzen der eigenen Grenzen (noch) nicht gelernt haben oder es aufgrund anderer Faktoren in diesem Moment nicht selbst können, ist ein Kitt für gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein wichtiger Faktor für soziale Gerechtigkeit.


Gleichzeitig bedarf es einer hohen Sensibilität, damit das eigene Handeln nicht wiederum als übergriffig empfunden wird.


Wo Grenzen setzen zu weit geht


Hierzu gibt es bald noch einen ausführlicheren Artikel, doch möchte ich es hier schon einmal kurz anreissen: In einer Gesellschaft, die Individualismus propagiert und von Vereinzelung profitiert, werden persönliche Grenzen überstilisiert.


Denn es ist eben so: Gemeinschaft funktioniert nicht, wenn alle nur auf den eigenen Vorteil schauen und hinter den eigenen Grenzzäunen sitzen.


Dieser Gedanke betrifft natürlich nicht jene, die eh schon über ihre eigenen Grenzen hinaus für andere da sind. Aber: If you want a village - you need to act like a villager.


Und das heisst eben auch, sich nicht nur für die eigenen Grenzen einzusetzen und in ihnen klar zu sein, damit sich andere daran orientieren können.


Sondern auch, in diesen Grenzen flexibel zu bleiben, sie gelegentlich zu überschreiten, um anderen Hilfe und Schutz zu bieten.


Ohne gesunde Grenzen kein freies Leben


Autonomie funktioniert nur, wenn ich mir selbst meinen Bedürfnissen, Grenzen, Wünschen, Fähigkeiten, Meinungen, etc. bewusst bin.


  • Wenn ich nicht weiss, was ich will, wie soll ich dann selbstbestimmt und unabhängig handeln?

  • Wenn ich nicht weiss, wo meine Grenze ist, wie soll ich dann merken, wenn es mir zu weit geht?

  • Wenn ich nicht kommunizieren kann, dass mir was zu weit geht, wie sollen es andere dann wissen?

  • Wie soll ich meine Grenzen anderen klar machen, wenn ich es nie gelernt habe, Nein zu sagen?


Wir sind immer bis zu einem gewissen Grad abhängig von unserer Aussenwelt, das liegt eben in unserer Natur als soziale Säugetiere.


Doch erst, wenn wir unsere Grenzen gut kennen und die Fähigkeit erarbeitet haben, sie zu erforschen, zu setzen, zu verteidigen, zu hinterfragen und sie der jeweiligen Situation entsprechend passend zu kommunizieren, dann können wir aufrichtig in ihnen stehen und finden wahre Autonomie in unserem Leben.


Ich hoffe, mit diesem Artikel einen Beitrag zur Klärung Deiner Grenzen gebracht zu haben. Wenn Du weiter in die Tiefe gehen möchtest, dann begleite ich Dich sehr gerne auf dieser spannenden Forschungsreise.


Ich freu mich auf Deine Nachricht über das Kontaktformular auf der Website.


Von Herzen  

Anna Baubin Psychologische Beraterin für Beziehungen aller Art in Zürich


Praxis der inklusiven, systemischen Beziehungsberatung für Einzelpersonen und Paare*


Anna Baubin | Psychologische Beraterin in Zürich




*Paar, Substantiv, (n)- zwei durch eine (wie auch immer geartete) Beziehung miteinander verbundene Menschen.



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